Juden im Karneval

Kölner Juden im bürgerlichen Karneval des 19. Jahrhunderts

Über viele Jahrhunderte war es Juden nicht gestattet, in Köln ansässig zu werden. 1423 hatte der Rat der Stadt Köln den Beschluss gefasst, dass ein auf zehn Jahre befristeter Schutzbrief nicht erneuert wird. Erst über drei Jahrhunderte später, nach dem Einzug der französischen Revolutionstruppen in Köln 1794, änderte sich dies. Nachdem die französische Nationalversammlung 1791 die rechtliche Gleichstellung der Juden festgesetzt hatte, wurde sie auch im linksrheinischen Gebiet umgesetzt. Am 2.November 1797 beschloss der Kölner Magistrat ihre Gleichstellung. Am 12.Oktober 1801 gründete sich die jüdische Gemeinde neu. 1815, wenige Jahre vor Beginn des organisierten bürgerlichen Karnevals, wohnten bereits 354 Juden in der Stadt. Die vollständige Emanzipation ließ allerdings auf sich warten, sie erfuhr in den folgenden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durchaus Höhen und Tiefen.

Trotzdem nahmen Kölner Juden mit Beginn des bürgerlichen Karnevals ab 1823 am karnevalistischen Treiben teil, sie waren vertreten in verschiedenen Ämtern und Funktionen. Angesichts seiner exponierten gesellschaftlichen Stellung stach hier besonders Simon Oppenheim heraus, ab 1828 Leiter des gleich – namigen Bankhauses. Am 5. Juni 1803 in Köln geboren, wurde er als ältester Sohn1821 Generalbevollmächtigter der Bank und übernahm einige Zeit nach dem Tod des Vaters 1828 zusammen mit seinem jüngeren Bruder Abraham die Leitung. Gemeinsam bauten sie die Bank zu einem Haus mit Weltgeltung aus. Wie schon ihr Vater nahmen auch Simon und sein Bruder rege am gesellschaftlichen Leben in Köln teil. Die Familie war im Kölner Großbürgertum jener Jahre integriert. Nicht nur das, sie förderten auch die Emanzipation der Juden. So richteten die beiden Brüder 1841 eine Eingabe an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV., in der sie die vollständige Gleichberechtigung der Juden forderten. Wie der spätere Regierungspräsident Heinrich von Wittgenstein oder auch J. P. Farina und viele andere führende Persönlichkeiten der Kölner Stadtgesellschaft nutzte auch Simon Oppenheim das Karnevalsfest als Plattform zur Selbstdarstellung. Selbst war er zwar nicht als Mitglied im Festordnenden Comité eingeschrieben, aber nur ein Jahr nach dessen Gründung beschloss das Comité, ihm die Rolle der Prinzessin Venetia anzutragen.

Das Motto dieser Session hieß: »Besuch der Prinzessin Venetia beim Helden Carneval«. Simon Oppenheim als Prinzessin Venetia spielte neben dem Helden Carneval die zweite zentrale Rolle und stand im Blickpunkt des Interesses. Am Karnevalssonntag zog Oppenheim als Prinzessin verkleidet feierlich in die Stadt ein, nahm Quartier in einem Hotel und ließ sich bereits dort als Ehrengast huldigen. Den Höhepunkt erlebte Oppenheim am Rosenmontag, dem 1.März 1824. An diesem Tag gingen zwei Züge durch die Straßen der Stadt, der »nordische Zug«, vom Helden Carneval, der »südliche Zug« von ihm selbst angeführt. Auf dem Neumarkt trafen sich die beiden Züge, die beiden »Hoheiten« tauschten Karnevalsorden aus, und der Kölner Bannerrat kredenzte dem Paar den Ehrenwein. In kolorierten Lithographien wurde die Figur der Prinzessin ebenso wie durch die Berichte der Zeitungen überregional bekannt gemacht. Und sie wurde in Köln über viele Jahre in Texten und Bildern tradiert.

Ein weiteres Beispiel für die Integration Kölner Juden in den Karneval ist der jüdische Maler und Lithograph David Levy Elkan. Seine Eltern gehörten zu den ersten jüdischen Familien, die sich in Köln niederließen. Sein Vater war der jüdische Privatlehrer Hone Levy. David, am 1. September 1808 in Köln geboren, absolvierte in seiner Heimatstadt eine handwerkliche Ausbildung, die er mit der Meisterprüfung beendete. Um 1838 gründete er die Steindruckerei David Levy Elkan. In der Folgezeit schuf er neben politisch-satirischen Blättern Illustrationen, Entwürfe und Kultobjekte sowohl für die Synagogen-Gemeinde als auch für die katholische Kirche und den Zentral-Dombau-Verein. Mit seinem künstlerischen Schaffen und mit seiner Begabung stieg er in die höchsten Gesellschaftskreise der Stadt auf. Er starb am 1. Juli 1865. An dem Trauerzug nahmen »Bürger aller Confessionen undaller Stände teil«. Seinen Aufstieg, so schreibt Elfi Pracht-Jörns, hatte er »dem geistig aufgeschlossenen und liberalen Klima in seiner Heimatstadt« zu verdanken. Ganz selbstverständlich erhielt er vom Festordnenden Comité zahlreiche Aufträge. 1824, mit gerade 16 Jahren und noch vor Ende seiner Ausbildung, gestaltete er das Karnevalsblatt der »Kölnischen Zeitung«. Es folgten Arbeiten für verschiedene Karnevalsgesellschaften und das Festordnende Comité. So findet sich in der Graphischen Sammlung des Kölner Stadtmuseums eine kolorierte Lithographie zum Maskenzug 1827 und eine Darstellung des Maskenzuges 1840.

Beispiele wie diese belegen, dass Kölner Juden im Karneval mitwirkten. Sicherlich waren dies Einzelfälle, was allerdings angesichts der noch recht kleinen jüdischen Gemeinde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht verwundert. Es entspricht im Übrigen auch den Verhältnissen in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Im sozial gemischten Verein »Liedertafel« finden sich Mitte des 19. Jahrhunderts zwei jüdische unter insgesamt 105 nachweisbaren Mitgliedern Die Mitgliedschaft in exklusiveren Vereinen war ihnen dagegen aufgrund der sozialen Lage, »möglicherweise weniger aufgrund ihrer Konfession verwehrt«. Insgesamt lassen die Quellen jener Jahrzehnte keine stichhaltigen Aussagen zu Schwankungen in der Emanzipation der Juden zu. Und auch eine genaue Angabe über die Teilnahme von Juden im organisierten Karneval ist nicht möglich. Hierfür fehlen für die einzelnen Vereine zum einen Listen von Vereinsmitgliedern, zum anderen gab es eine ausgeprägte Fluktuation in den Karnevalsgesellschaften – jedes Jahr aufs Neue zeichneten sich die Kölner in Listen ein und erwarben eine Mitgliederkarte. Ein Vereinsleben mit größerer Kontinuität entwickelte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Ab den 1880er Jahren liegen genauere Informationen vor. Vor allem die »Roten Funken« bieten in diesem Zusammenhang aussagekräftiges Aktenmaterial. Die kontinuierliche Aufzeichnung ihrer Mitglieder mit weiteren Angaben wie Wohnort oder Beruf setzt im Dezember 1882 ein. In den sogenannten Stammrollen finden sich von Beginn an zahlreiche jüdische Mitglieder. 1883 und 1884 taucht der Name Joseph Salomon, wohnhaft in der Siegburger Straße in Deutz, als aktives Mitglied auf. Es handelte sich dabei wohl um Salomon Joseph Salomon, der am 24. Januar 1829 in Deutz geboren ist. Er war zunächst als Bahnbremser, spätestens ab 1901 als Kaufmann tätig. Salomon unterwarf man wohl wie jeden anderen Interessierten einer strengen Ballotage mit einer Prüfung der einwandfreien Lebensführung und Fragen nach dem Interesse am Karneval. Erst im Anschluss daran wurde er aufgenommen und konnte sich eine Funkenuniform schneidern lassen. Von Anfang Januar bis Aschermittwoch nahm er an den wöchentlichen Appellen der »Funken« teil. Dabei traf man sich im »Stammlokal« des Vereins, besprach in der ersten Hälfte des Abends gemeinsam organisatorische Fragen, um dann in der zweiten Hälfte bei Speis und Trank zusammenzusitzen, gemeinsam zu singen sowie Reden und Liedvorträgen zuzuhören. Gemeinsam wird er auch mit den »Funken« im Rosenmontagszug durch die Straßen Kölns gezogen sein. Auch die Familie Salomons wird wenigstens indirekt mit eingebunden gewesen sein. Zumindest können wir dies vermuten. Denn annähernd jedes Jahr wurde ein Damen-Comité veranstaltet, an dem auch die Ehefrauen der »Funken« teilnahmen.

Indirekt gab Joseph Salomon wohl seine Begeisterung für den Karneval weiter. Seine Tochter Julia oder Julie, geboren 1857 in Deutz, heiratete 1879 Norbert Capell, einen mit dem Karneval verbundenen Kölner Juden. Norbert Capell wurde 1847 in Jülich geboren und lebte dann in Köln. Genau wie sein Schwiegervater engagierte er sich im Kölner Karneval. 1905 finden wir ihn anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der »Kölner Narren-Zunft von 1880« als Senator bzw. Ehrensenator. Mitte der 1920er Jahre war er unter den Karnevalisten so bekannt, dass er im zentralen Überblickswerk zur Wiedergeburt des Karnevals 1925/26 eigens erwähnt und mit einem Porträtfoto bedacht wurde. Noch im Alter von über 80 Jahren trug er Lieder bei der »Narrenzunft« vor und wurde aufgrund seines langjährigen Engagements zum Ehrenamtsmeister ernannt.

Auch Norbert Capell gab seine Begeisterung für den Karneval an seine Kinder und Enkelkinder weiter. Wir wissen, dass sich die Familie seiner Tochter Adelheid Zilken jedes Jahr aktiv an den Karnevalsfestivitäten beteiligte. Adelheid war 1894 in Köln geboren und hatte 1920 den nicht jüdischen Apotheker Theodor Peter Norbert Zilken, geboren 1894 in Koblenz, geheiratet. Ihre Tochter Marlies Julia, geboren 1925, findet sich auf zahlreichen Fotografien zu Karneval jedes Jahr in einem neuen Kostüm verkleidet. Die Begeisterung war in der Familie so groß, dass Marlies Julia bereits im Alter von 20 Monaten als Roter Funk verkleidet am Straßenkarneval teilnahm. Auch im darauffolgenden Jahr war sie wieder als Funk verkleidet, 1929 im Alter von vier Jahren als »Holländer Jung«, 1930 als »Girl« und 1932 als »Schottin «.

Feststellen lässt sich, dass den »Funken« bis zu vier eindeutig nachweisbare jüdische Mitglieder in der Kaiserzeit angehörten, dies bei einer Gesamtmitgliederzahl von 84 Personen 1883, die sich ein Jahr später auf 109 (inkl. Ehrenmitglieder), 1898 auf 153 und 1913 auf 232 steigerte. Der Anteil jüdischer Mitglieder am Gesamtverein lag zumindest 1884 prozentual sogar noch über dem Anteil jüdischer Bürger an der städtischen Bevölkerung, der 3,3% ausmachte. Diese recht hohe Zahl jüdischer Mitglieder lässt sich wohl unter anderem mit einer breiten Schicht jüdischer Kaufleute in Köln erklären – dem Stand also, dem auch die Mehrheit der »Funken« angehörte.

Neben den »Roten Funken« und der »Kölner Narrenzunft« lässt sich mit Salomon Marx auch im Kleinen Rat der »Großen Karnevalsgesellschaft von 1823« ein jüdisches Mitglied ausmachen.41 Parallel zur Integration gab es in dieser Zeit allerdings auch ausgrenzende Tendenzen gegen Juden. So hatte der Rote Funk Jacob Goldstein aus Grevenbroich mit Vorurteilen gegen Juden zu kämpfen. In einem Vortrag, den er am 5.März 1876 im Bürgerverein zu Grevenbroich hielt, beklagte er, dass seine Generation im Deutschen Reich mit vielen über Jahrhunderte tradierten Vorurteilen gegenüber Juden zu kämpfen hätte: »Es tut mir von Herzen leid, dass man auch heut noch gezwungen ist, dagegen anzukämpfen.« Dies traf für Grevenbroich und gleichermaßen für Köln zu. Dort hatten sich antijüdische Vorstellungen vom »jüdischen Gottesmord«, von jüdischen Ritualmorden, Auch Norbert Capell gab seine Begeisterung für den Karneval an seine Kinder und Enkelkinder weiter. Wir wissen, dass sich die Familie seiner Tochter Adelheid Zilken jedes Jahr aktiv an den Karnevalsfestivitäten beteiligte. Adelheid war 1894 in Köln geboren und hatte 1920 den nicht jüdischen Apotheker Theodor Peter Norbert Zilken, geboren 1894 in Koblenz, geheiratet. Ihre Tochter Marlies Julia, geboren 1925, findet sich auf zahlreichen Fotografien zu Karneval jedes Jahr in einem neuen Kostüm verkleidet. Die Begeisterung war in der Familie so groß, dass Marlies Julia bereits im Alter von 20 Monaten als Roter Funk verkleidet am Straßenkarneval teilnahm. Auch im darauffolgenden Jahr war sie wieder als Funk verkleidet, 1929 im Alter von vier Jahren als »Holländer Jung«, 1930 als »Girl« und 1932 als »Schottin «.

Feststellen lässt sich, dass den »Funken« bis zu vier eindeutig nachweisbare jüdische Mitglieder in der Kaiserzeit angehörten, dies bei einer Gesamtmitgliederzahl von 84 Personen 1883, die sich ein Jahr später auf 109 (inkl. Ehrenmitglieder), 1898 auf 153 und 1913 auf 232 steigerte. Der Anteil jüdischer Mitglieder am Gesamtverein lag zumindest 1884 prozentual sogar noch über dem Anteil jüdischer Bürger an der städtischen Bevölkerung, der 3,3% ausmachte. Diese recht hohe Zahl jüdischer Mitglieder lässt sich wohl unter anderem mit einer breiten Schicht jüdischer Kaufleute in Köln erklären – dem Stand also, dem auch die Mehrheit der »Funken« angehörte.

Neben den »Roten Funken« und der »Kölner Narrenzunft« lässt sich mit Salomon Marx auch im Kleinen Rat der »Großen Karnevalsgesellschaft von 1823« ein jüdisches Mitglied ausmachen. Parallel zur Integration gab es in dieser Zeit allerdings auch ausgrenzende Tendenzen gegen Juden. So hatte der Rote Funk Jacob Goldstein aus Grevenbroich mit Vorurteilen gegen Juden zu kämpfen. In einem Vortrag, den er am 5.März 1876 im Bürgerverein zu Grevenbroich hielt, beklagte er, dass seine Generation im Deutschen Reich mit vielen über Jahrhunderte tradierten Vorurteilen gegenüber Juden zu kämpfen hätte: »Es tut mir von Herzen leid, dass man auch heut noch gezwungen ist, dagegen anzukämpfen.« Dies traf für Grevenbroich und gleichermaßen für Köln zu. Dort hatten sich antijüdische Vorstellungen vom »jüdischen Gottesmord«, von jüdischen Ritualmorden,
Hostienschändungen, Verpestung von Brunnen und anderes mehr über Jahrhunderte tradiert. In Köln waren entsprechend Geldscheine aufgetaucht mit dem Stempelaufdruck: »Die Juden sind unser Unglück, Prof. H.v.Treitschke«. 1893 hatte Eduard Hensel in der Komödienstraße eine »Antisemitische Buchhandlung« eröffnet mit einem großen Sortiment an antisemitischen Broschüren und Flugblättern. In den Schaufenstern waren dort für ein breites Publikum sichtbar judenfeindliche Bildergeschichten inszeniert. Außerdem vertrieb er über zwei Kaufleute antisemitische Tageszeitungen, von denen er bis zu 25.000 Stück im Jahr (1901) verkaufte.

Diese Vorurteile gegen Juden können auch unter den Karnevalisten nachgewiesen werden. Bekannt ist vom Roten Funken Jakob Gaspers, dass Kölner Juden das Weinlokal seiner Familie nicht betreten durften. 1895 schrieb Anton Gaspers einem »langjährigen, jüdischen Gast«: »Da meine Wirthschaft größtentheils aus Antisemiten besteht und dieselben in ihrer Unterhaltung etc. nicht gerne gestört sind, so ersuche ich Sie höflichst, mein Local zu meiden.« Darüber hinaus waren allerdings politischer Antisemitismus und auch judenfeindliche Ausgrenzungspraktiken in Vereinen und in anderen Bereichen der städtischen Gesellschaft Kölns im Vergleich zu vielen anderen Städten wenig ausgeprägt. Dass der deutschnationale Handlungsgehilfenverein 1898 einen »Arierparagraphen« in seinen Statuten festschrieb, war eher eine Ausnahme.

Ähnlich, wie diese Beispiele aus dem organisierten Karneval zeigen, feierten wohl viele jüdische Karnevalisten privat, im Straßen- oder im Kneipenkarneval – nur sind hierfür die schriftlichen Quellen aus dem Kaiserreich spärlich. Insbesondere die Kinder jüdischer Familien werden sich kostümiert haben. Zumindest liegen hierfür Fotos und Berichte vor. Eines der erhaltenen Fotos stammt von der etwa dreijährigen Lilli Jahn, die 1900 in Köln geboren wurde und in einer wohlhabenden jüdischen Familie in der Bismarckstraße aufwuchs. Eines der Fotos zeigt sie zusammen mit ihrer Schwester Else in Karnevalskostümen.

Zvi Asaria, ehemals Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln, schrieb entsprechend in seiner Abhandlung zur Geschichte der Juden in Köln, dass um die Jahrhundertwende »viele jüdische prominente Karnevalisten« am großen stadtkölnischen Volksfest mitwirkten.

Juden im Kölner Karneval zwischen Integration und Ausgrenzung während der Weimarer Republik

Wie schon im Kaiserreich nahmen Kölner Juden auch nach Ende des Ersten Weltkrieges am Festgeschehen teil. Bereits Nicola Wenge hat in ihrer Dissertation zu Integration und Ausgrenzung von Juden für den Karneval und auch für andere gesellschaftliche Bereiche aufgezeigt, dass in den 1920er Jahren neben dem selbstverständlichen Miteinander auch verschiedene Formen des Antisemitismus zu finden waren, die im Folgenden aufgezeigt werden sollen.

Kölner Juden im Sitzungs- und Straßenkarneval

In der Zeit nach 1914 liegen Beispiele für Kölner Juden im organisierten Karneval vor. So gehörte Erich Israel, der eine Pfeifengroßhandlung unterhielt, zu den Gründungsmitgliedern der »Altstädter Köln 1922«. Auch für den quellenmäßig recht schwierig zu fassenden Straßenkarneval sind aus den publizierten Lebensbeschreibungen Kölner Juden Beispiele überliefert.

Für Doris Liffmann, 1915 in Köln geboren und Tochter eines jüdischen Immigranten aus Polen, war der Kölner Karneval etwas Besonderes, wie sie selbst festhielt: »Ich habe den Rosenmontag, ach da habe ich drauf gewartet wie auf den Messiah. Das habe ich so gern gehabt.« Dies galt in besonderem Maße auch für Gustav Horn, geboren 1911 in Köln. Für ihn prägten der heimatliche Dialekt »Kölsch«, »die Liebe zum ›kölsche Krätzje‹, »kölscher Humor, Gleichmut und Toleranz« die Beziehungen zwischen Kölner Juden und Nichtjuden. Der Dialekt habe konfessionelle und auch soziale Differenzen überwunden. Dies im Übrigen auch, wie Horn beschrieb, im innerjüdischen sozialen Umgang. So habe die kölsche Sprache die Distanz zwischen dem streng orthodoxen Rabbiner Dr. Benedikt Wolf und einem liberalen Schüler überwinden geholfen. In der Regel waren es Mitglieder bürgerlicher bzw. gutbürgerlicher Familien, die »assimiliert« waren, d. h., die sich in ihrer Lebensweise an ihre nicht jüdischen Nachbarn angenähert hatten. Die Ausübung der jüdischen Religion spielte bei diesen Familien eine zunehmend untergeordnete Rolle. Häufig lebten die einzelnen Familienmitglieder ihre Religion nur an hohen Feiertagen. Von Mitgliedern der assimilierten jüdischen Familie Abisch erfahren wir beispielsweise, dass sie in den 1920er Jahren regelmäßig am Rudolfplatz den Kölner Rosenmontagszug vom Ingenieurbüro Dr. Oskar Abisch aus anschauten. Zahlreiche überlieferte Fotos zeigen, dass viele Eltern, wenn sie nicht selbst feierten, für ihre Kinder im Familienkreis Feierlichkeiten mit Verkleiden arrangierten. So gibt es Fotos von Margot Weiss zusammen mit ihrem Vater aus dem Jahr 1930. Oder wir sehen Lore Schottländer zusammen mit ihrer Schwester Gertrud und ihrer Cousine Marlis verkleidet im Karneval 1928. Sie konnten genauso wie ihre Mutter kölschen Dialekt sprechen. Otto Spier aus einer gutbürgerlichen, liberalen Fami- lie, berichtete davon, dass sein Vater ein »richtiger Kölscher« gewesen sei. Er und seine Mutter feierten regelmäßig Fastelovend. Herbert Bluhm erzählte davon, dass sein Vater, der 1930 zwei gut gehende Kaufhäuser in der Venloer Straße unterhielt, regelmäßig traditionsreiche Karnevalssitzungen besuchte. Insgesamt unterstreichen diese persönlichen Erfahrungen die allgemein anerkannte These vom Höhepunkt der Integration von Juden in der Weimarer Republik.

Jüdische Künstler im Karneval

Norbert Stein, Alfred Heinen und nicht zuletzt Hans Tobar – diese und einige andere jüdische Bühnenkünstler traten vor allem in den 1920er Jahren in den Karnevalssitzungen und Fastnachtsrevuen als Sänger, Conférenciers oder Büttenredner auf und verdienten bis 1933 ihren Lebensunterhalt damit. Ein besonders aussagekräftiges Beispiel für Integration und Ausgrenzung bietet Hans Tobar. Er war wie auch Norbert Stein nicht nur als professioneller Bühnenkünstler aktiv, sondern engagierte sich ehrenamtlich in verschiedenen traditionsreichen Karnevalsgesellschaften und unterhielt freundschaftliche Kontakte zu vielen prominenten Karnevalisten jener Jahre.

Geboren wurde Hans Tobar als eines von insgesamt zehn Kindern der Familie am 18. April 1888 in Köln unter dem Namen Hans David Rosenbaum. Sein Vater Markus, gebürtig aus Breskens/Niederlande, verdiente als Friedhofswächter und Steinmetz seinen Lebensunterhalt. Nach Absolvierung der Schule 1901 trat Hans im Alter von 14 Jahren eine kaufmännische Lehre bei einem jüdischen Kaufmann für Wollwaren und Trikotagen an und ging dann als Handelsreisender übers Land. Schon in jenen Jahren entdeckte er seine Begabung für die Bühne, spielte in der »Dramatischen Gesellschaft« Theater und wirkte auch an der Kölner Oper als Statist mit. Gleichzeitig trat er auf verschiedenen Veranstaltungen jüdischer wie nicht jüdischer Vereine auf, im August 1909 im Bootshaus der »Kölner Ruder- Gesellschaft 1891«, ein Jahr später als Rezitator beim Purimfest einer jüdischen Damenvereinigung oder auf dem Sommerfest des jüdischen Turnvereins. Anfang 1914 schließlich wurde er auch als Conférencier und Vortragskünstler für die Kleinkunstbühne »Der Rosenhof« engagiert.

Einige Jahre zuvor, er war gerade 17 Jahre alt, finden wir ihn im Kölner Karneval, als er auf einer Sitzung der »Großen Karnevals-Gesellschaft« im Januar 1905 auftrat. Er hatte auf der Bühne solch großen Erfolg, dass auch die »Große Kölner Karnevalsgesellschaft« auf ihn aufmerksam wurde. Hier ist er von 1910 bis 1914 in den Mitgliederlisten als Protokollant notiert. Dabei hatte er in der ersten Sitzung einer jeden Session Anfang Januar all das, was die Kölner in Politik, Gesellschaft und auch im Karneval über das Jahr hinweg bewegt hatte, humoristisch darzubieten. Er spielte damit eine nicht unwesentliche Rolle, zumal er zu Beginn einer Sitzung die Stimmung stark mitprägen konnte. In den folgenden Sitzungen fasste er allwöchentlich die wesentlichen Aspekte der letzten Versammlung zusammen. Er war also im Kreis der Karnevalisten integriert – andernfalls hätte er nicht wissen und vortragen können, was sich über das Jahr abgespielt hatte. Auch seine sonstigen Darbietungen auf der Karnevalsbühne zeichneten sich durch Milieuschilderungen aus. »Ganz besonders traf er diese, wenn es sich um intime Bekundungen zu seiner Geburtsstadt Köln handelt«, wie sein Bruder Arno rückblickend schildert.

Im Januar 1914 trat Tobar wohl erstmals auch bei den »Roten Funken« auf, und zwar bei einem Damenkomitee. Kurz darauf schrieb er sich als Mitglied in die Stammrolle des Vereins ein. Im Ersten Weltkrieg wurde er als Soldat durch den Präsidenten Theodor Schaufuss unterstützt und hielt Kontakt zum Verein – ebenfalls ein Zeichen der Integration. In den vier Kriegsjahren verwendete Schaufuss das gesamte Vereinsvermögen, um die Mitglieder mit Liebesgabenpaketen zu unterstützen. Im Gegenzug berichteten die »Funken« in zahllosen Feldpostkarten von der Front. Zu dieser »Solidargemeinschaft« gehörte auch Hans Tobar. Er wurde zwar zunächst ausgemustert, erhielt dann – wie fünf seiner sieben Brüder – im April 1915 doch den Gestellungsbefehl nach Aachen. Dort wurde er als Sanitäts – soldat eingesetzt. Im Laufe des Jahres 1917 kam er nach Russland an die Ostfront, war ab August 1918 wieder in Aachen stationiert. In dieser Zeit trat er immer wieder in Lazaretten mit heiteren und auch ernsten Vorträgen für verwundete Soldaten auf.

Sowohl nach Aachen als auch nach Russland bekam er vom Funkenpräsidenten Pakete zugeschickt. Am 29.November 1915 schrieb er an Schaufuss: »Da kommt von den lieben Funken mit einer Regelmäßigkeit eines Wirtes, eine solche liebe, rauchbare Gabe, daß man wirklich seinen Dank nicht in Worte zu kleiden weiß.« Und als Mitglied der Gemeinschaft war er »froh darüber, wenn ich von Ihnen, der Sie ja mit allen Herren in ständigem Kontakt sind, höre, dass es unseren Freunden und Bekannten noch gut geht«.

Auch nach Ende des Weltkrieges war er Teil der Gemeinschaft, zumindest bis 1923. In diesem Krisenjahr konnte er – auch wenn er nach Ende des Krieges bereits als Conférencier und Vortragsmeister in Aachen, Krefeld und auch im Kölner Kabarett Kaiserhof Erfolge feierte – wie über 70 andere »Funken« die Mitgliederumlagen nicht bezahlen und musste den Verein verlassen. Doch blieben die »Funken « und Tobar freundschaftlich verbunden. Anfang 1922 hatte er Ehrenkarten erhalten und wurde im November 1922 als verdienter Redner zum Ehrensenator ernannt. Noch drei Jahre später wurden ihm Ehrenkarten überreicht. Spätestens nach dem Krisenjahr 1923 ging es für Tobar sowohl privat als auch beruflich aufwärts. Im Februar 1924 heiratete er in Bremen die 1900 in Minsk ge borene und in Bremen aufgewachsene Ursel Direktorowitz. 1924 wurde ihr Sohn Max Theodor in Bremen geboren, 1926 ihre Tochter Lieselotte in Köln. Im Frühjahr 1925 bezog die Familie ihre erste gemeinsame Wohnung am Rudolfplatz in Köln. Hans Tobar und seine Frau verbrachten die Sommer- und Herbstmonate gemeinsam auf Norderney. Dort führte er karnevalistische Sitzungen durch, Ursel betrieb ein Geschäft in Konfektion und Badeartikeln.

Für seinen Norderney-Aufenthalt meldete er in den Jahren 1930 bis 1933 seinen Sohn Max von der städtischen jüdischen Volksschule in Köln ab und in einer Schule auf Norderney an. Dort trat er jeden Sommer vor allem im Theater »Der Rote Teppich« und im »Arcadia- Künstlerspiele- und Tanzpalast« auf und erlangte über die Jahre hinweg eine Art von Kultstatus:

»Es ist etwas ganz Besonderes um diesen Künstler, den wir nun schon seit Jahren kennen. Er kommt, steht auf der Bühne, ein paar hingeworfene Worte, schon ist der Kontakt da. Lachenden Auges spricht er mit dem Publikum, so wie es ihm gerade einfällt; aber wenn er auch nur da oben steht, fühlt jeder, daß man diesen Künstler liebhaben muß.«

Er gründete auf Norderney zudem die Karnevalsgesellschaft »Zoppejröns«, die kölnische Karnevalssitzungen veranstaltete. Häufig war auch Willi Ostermann mit auf der Insel. Ein Foto zeigt Hans Tobar im Morgenmantel mit Krätzchen auf dem Kopf am Strand von Norderney in Gesellschaft von Willi Ostermann. Im März 1947 widmete Käte Ostermann das Foto »dem lieben Freunde meines verstorbenen Mannes zum herzlichen Gedenken in Dankbarkeit«. Mit Willi Ostermann trat er nicht nur gemeinsam auf Norderney auf, sondern auch in Köln. Auch mit Gerhard Ebeler war er »in langjähriger Freundschaft« verbunden, wie eine Widmung zeigt. Im Herbst eines jeden Jahres ging die Familie Tobar nach Köln zurück, wo Hans Tobar ab Dezember die Fastnachtsrevuen vorbereitete. Mit diesen Revuen entwickelte er sich zu einem der erfolgreichsten Bühnenkünstler. Sie wurden vor allem im Kaiserhof in der Salomonsgasse 11 aufgeführt.

Spätestens ab 1927 inszenierte er in jeder Session eine Revue, die täglich aufgeführt wurde und ständig ausverkauft war. 1927 brachte »Köllen eyn Kroyn«, verfasst von Hans Tobar, Musik von Fritz Hannemann, mit dem Opernsänger Heinrich Winckelhoff, Willi Ostermann und Hans Tobar selbst als vortragende Künstler den größten Erfolg seit Bestehen des Hauses, wie der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb. Es folgten in der Session 1928/29 »Unter der Narrenkappe«, in der Session 1929/30 »Hallo! Köln auf Welle 1111«, 1930/31 »D’r treue Husar« und »E Beßche Fasteleer«. Damit war Tobar Teil des kommerziellen Karnevals, suchte aber in diesen Jahren auch gelegentlich den alternativen Karneval auf, so zusammen mit den Revuedarstellern das Lokal »Dekke Tommes«, wo sich progressive Kölner Künstler zu den sogenannten Lumpenbällen und anderen Gelegenheiten trafen.

Die Situation Tobars änderte sich schlagartig im Jahr 1933. Zunächst konnte Tobar noch 1933 die Faschingsrevue »Karneval wie einst« im »Schwerthof«, Ecke Neumarkt, Zeppelinstraße, auf die Bühne bringen. Im Februar 1933 lief auch noch die von ihm mitverfasste Revue »Alle Poppe danze« – der Name Tobars wurde allerdings schon im Autorenverzeichnis verschwiegen. 1933 lief auch sein Fünfjahresvertrag aus und wurde vom Blatzheim-Konzern nicht mehr verlängert. Danach erhielt Tobar im offiziellen Kölner Karneval keine Aufträge mehr. Zuflucht fand er – wenn auch nur für kurze Zeit – im Sommer 1933 im liberalen Seebad Norderney. Hier konnte er noch auftreten und seine Frau gleichzeitig das Mode-Saisongeschäft betreiben. Im Sommer 1934 musste sie allerdings endgültig schließen. Inzwischen hatte sich auch Norderney dem neuen System angeglichen.

In der Folgezeit trat Tobar in der jüdischen Gemeinde und im jüdischen Kulturbund Rhein-Ruhr auf, der arbeitslosen jüdischen Künstlern und Schriftstellern begrenzt Lohn und Brot gab und gleichzeitig zur Unterhaltung der jüdischen Bevölkerung im Herbst 1933 nach dem Vorbild und mit Unterstützung des Kulturbundes Deutscher Juden, Berlin, geschaffen worden war. Hier traten von 1933 bis 1935 auch die Kinder Tobars, Lieselotte und Max Theodor, öffentlich auf. Vermutlich hatte Tobar genauso wie 190 weitere Künstler in der Spielzeit 1935/36 eine feste Anstellung. Die Auftritte fanden vor allem in den Sälen der Bürgergesellschaft am Appellhofplatz oder im Festsaal der jüdischen Organisation »Rheinlandloge « in der Cäcilienstraße statt. Hier trat er mehrfach als Veranstalter der »Tobar-Abende« auf. Er zeigte sich als Plauderer, Conférencier und Rezitator. Daneben organisierte und moderierte Tobar für die Kölner Synagogen-Gemeinde in der Tanzschule Friedel Böhm Tanzabende.

Zu seinen letzten Auftritten in Deutschland gehörten Veranstaltungen im Kölner Lokal Jacobi und in der Glückaufloge in Essen, beides in der Session 1937/38. Ansonsten konnte er – so schildert es sein Bruder – nicht mehr ausgehen, aus finanziellen Gründen und weil der Zutritt für Juden in den meisten Lokalen inzwischen verboten war. So beschränkte man sich auf den Familienkreis und besuchte hin und wieder Freunde in ihren Wohnungen. Auch der Versuch seiner Frau Ursel, gemeinsam mit ihrer Freundin Erna Müller ein Bekleidungsgeschäft in der Hohe Pforte 22 zu betreiben, blieb ohne Erfolg.

Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war Tobar endgültig gezwungen, zusammen mit seiner Familie das Deutsche Reich zu verlassen. Am 9.Dezember 1939 bestiegen sie am Kölner Hauptbahnhof den Zug nach Rotterdam. Von dort gelangten sie nach New York. In New York arbeitete Tobar zunächst an einer Lederstanzmaschine. Seine Heimatverbundenheit zu Köln ließ ihn auch dort für die deutsche Gemeinschaft rheinische karnevalistische Programme aufführen.

Hans Tobar starb 1956. Eng wirkte Hans Tobar mit der Büttenrednerin Gerti Ransohoff zusammen. Obwohl keine Jüdin, soll auch sie hier als Beispiel für eine mit einem Kölner Juden verheiratete Künstlerin aufgeführt werden. Ein Bild, das sie mit Funkenmütze zeigte, hing in der Wohnung Tobars in der Meister-Gerhard-Straße 5. Auf dem Bild war eine Widmung zu lesen: »Meinem verehrten Lehrer gewidmet von seiner dankbaren Schülerin G. R.« Auch wenn sich hier ein Lehrer-Schülerinnen-Verhältnis andeutet, um viele Jahre lagen sie nicht auseinander. Sie ist am 24.März 1897 als Tochter des Arztes Ludwig Kux geboren. Selbst christlichen Glaubens, heiratete sie den jüdischen Textilhändler Paul Ransohoff. Gerti Ransohoff trug vor allem von Tobar verfasste Büttenreden vor, wie beispielsweise »Mittagessen bei der Familie Körnchen« im Januar 1928, oder Gedichte auf dem Damen kränzchen der »Großen Kar – nevalsgesellschaft von 1823« im Gürzenich am 12. Januar 1929. Die »Rheinische Zeitung« sprach in diesem Zusammenhang von »Sensation « und einem »Beifallsorkan«.

Als kleines, natürlich-heiteres und burschikoses kölsches Mädchen kam Gerti Ransohoff mit einem »spitzbübischen« Augenzwinkern beim Publikum sehr gut an, und zu diversen Karnevalsgesellschaften entwickelte sich ein persönliches Verhältnis. Um 1930 hatte sie wohl ihren beruflichen Höhepunkt erreicht. Sie trat in diesem Jahr allein fünfmal im Gürzenich auf und war auch bei Übertragungen im Radio zu hören. In der Session 1930/31 feierte sie ihre letzten Auftritte, am 28. Januar 1931 beim 25-jährigen Jubiläum der »Prinzen-Garde« im Gürzenich, dann beim Damenkomitee der »Altstädter« wieder im Gürzenich am 4. Februar. Ihr Mann, der stets bei ihren Auftritten zugegen gewesen war, hatte im Alter von 52 Jahren angesichts der »Widerwärtigkeiten des politischen Tageskampfes« einen Nervenzusammenbruch erlitten und sich am 11.Mai 1932 das Leben genommen. Hintergrund war neben antisemitischen Agitationen die Eskalation von Gewalt zwischen SA und dem Rote Frontkämpferbund, der paramilitärischen Organisation der KPD, im Vorfeld der Reichstagswahlen am 31. Juli 1932. Bei handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Robert Ley und anderen Nationalsozialisten erlitten dabei der SPD-Vorsitzende Otto Wels und der Kölner Polizeipräsident Otto Bauknecht Ende April 1932 Verletzungen. Die »Rheinische Zeitung« titelte in einer Sonderausgabe: »Mordanschlag auf Bauknecht und Wels«. Auch diese Vorgänge werden Ransohoff, der den Sozialdemokraten nahestand, erschüttert haben.

Wenige Tage nach ihrem Mann, am 16. Mai 1932, wählte auch Gerti Ransohoff im Alter von 35 Jahren den Freitod. Im Januar 1933 ist von der »leider so früh dahingegangene[n] Frau Ransohoff, die der Fasteleer noch schwer vermissen wird«, die Rede.

Ein jüdischer Bühnenkünstler, der vor allem Ende der 1920er Jahre bis 1933 auf den Karnevalsbühnen für Furore sorgte, war Norbert Stein. Er wuchs in unmittelbarer Nachbarschaft Tobars auf, dürfte allerdings bereits in den 1880er Jahren, wohl 1888, geboren und damit ein wenig älter als dieser gewesen sein. 1905 tauchte Stein zum ersten Mal im Kölner Adressbuch als Artist und Schriftsteller auf. Zunächst – vor dem Ersten Weltkrieg – unterhielt er noch, neben seinen Auftritten, am Großen Griechenmarkt 110 eine Buch- und Zigarrenhandlung. Wie er waren auch seine beiden Brüder im Karneval aktiv – allerdings nicht so erfolgreich. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurde er als »Blitzdichter «, der ad hoc auf Zurufe der Zuschauer reagierte, bekannt und erntete Beifallsstürme. 1927 war er als Stegreifdichter bei der Sitzung der KG »Fidele Zunftbrüder« im Haus Metropol und im Viktoriasaal bei den »Altstädtern« zu sehen. In überfüllten Sälen trat er noch im Januar und Februar 1933 auf. Dort brachte er durch seine Improvisationen das »ganze Haus aus Rand und Band«, wie die »Rheinische Zeitung« notierte.

Anerkennung erntete er in jenen Jahren auch als Mitbegründer der Karnevalisten-Vereinigung der Künstler. Hier engagierte er sich nicht nur für die Verbesserung der karnevalistischen Darbietungen, sondern initiierte als deren Präsident Wohltätigkeitssitzungen. So führte er 1931 unter dem Titel »Hab Sonne im Herzen« in der Kölner Messehalle vor rund 7.000 Zuschauern eine Großveranstaltung für »Kölner Notleidende« durch. Bedürftige Kölner hatten dabei freien Eintritt. In der »Rheinischen Zeitung« hieß es dazu: »Norbert Stein, der geistige Urheber der Veranstaltung, hatte die Riesensitzung voll in der Hand, vielleicht war es die größte Leistung, die je einem Karnevalpräsidenten zugemutet wurde. Mit Schneid und Humor, nicht zuletzt mit klugem Takt, entledigte er sich seiner großen Aufgabe.« Immer wieder trat er auch im Volkshaus in von der SPD organisierten Veranstaltungen zugunsten der Arbeiterschaft auf, so bereits im Februar 1928. Die »Rheinische Zeitung« bezeichnete ihn als einen »Freund der organisierten Arbeiterschaft« und des »Karnevals der Armen«. Er war also ohne Zweifel ein politisch denkender Künstler, der sozialdemokratischen Zielen nahestand. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte er keine Gelegenheit mehr, im organisierten Karneval aufzutreten.

Sein weiteres Schicksal ist nicht geklärt. Bis 1938 finden wir ihn in Köln gemeldet. Möglicherweise ist er in diesem Jahr nach Berlin gegangen. Von dort wurde ein Norbert Stein am 17.Mai 1943 nach Auschwitz transportiert, wo er umgekommen ist.

Quelle:
Dr. Marcus Leifeld, Der Kölner Karneval in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 246 ff.